19. Jahrhundert

In den Vierlanden, einem kleinen Gemüseanbaugebiet südöstlich von Hamburg, fühlte man sich der Tradition besonders verpflichtet. Man verzierte sorgfältig seinen Besitz und stellte ihn gern zu den Höhepunkten des Lebens zur Schau: anlässlich einer Geburt, einer Hochzeit oder eines Todesfalls. So mischte sich auf den Mustertüchern eine Vielzahl von Motiven mit symbolischen Bedeutungen, die später Hochzeitskissen, Totenlaken, Bettwäsche, Paradehandtücher und Kleidung prunkvoll verzieren sollten.

Die Rosette – der Kreis – gilt als universelles Symbol für Ganzheit, Unendlichkeit, Vollkommenheit und wird heute noch benutzt, im Ehering, Brautkranz, Beerdigungskranz.

Die Raute – einem auf einer Ecke stehenden Quadrat fehlt die Spitze – symbolisiert das weiblich-schöpferische Prinzip: die Geburt. Sie ist auch als Vulvadarstellung das Lebenssymbol vieler Fruchtbarkeitsgöttinnen in der Volkskunst vieler Völker. Aus der „weiblichen Raute“ wird das „liebende Herz“.

Das Lebensbaumsymbol steht in den Mythen verschiedener Länder

- für den „Wohnraum der Götter“,

- seine Früchte nähren Götter, verstorbene Könige und Selige und schenken Unsterblichkeit,

- für „das Licht“, denn er steht am östlichen Ausgang der Welt – dort wo die Sonne aufgeht,

- für „Gut und Böse“; die verbotenen Früchte vom „Baum der Erkenntnis“ hatten den Sündenfall zur Folge,

- für das Totenreich – dem Land des Lebens nach mythischem Denken,

- für die „göttliche Mutter“ als Lebensträger und –erneuerer.

 

 

Das Kreuz – die Achse in einer Rosette – steht für die „Achse der Welt", dem Sinnbild des Christentums, der Errettung der Menschheit.

Diverse kleinere Motive haben auch ihre Bedeutung: einander zugewandte Vögel – Liebe, kleine Bäumchen – Lebensbaum, Engel – Totenengel, Totenvögel.

Die Namen der Stickerinnen wurden sehr oft nach den Anfangsbuchstaben der ersten beiden Silben abgekürzt, z.B.: Trin-ke Kru-se: TRKS, Met-te Lüt-ten-see: MTLTS.

 

Zu Beginn des 19.Jahrhundert bekommen die Mustertücher schleichend eine neue Funktion: sie sollen vom Können, vom Geschmack und dem Fleiß der jungen Stickerin aus dem Großbürgertum „berichten“. Hier ist die Zeit auszufüllen und hier ist das Geld vorhanden, kostspielige Materialien zu erwerben. Das Mustertuch wird als Bild präsentiert. Die Motive sind leicht zu verstehen, dabei treten die Naturverbundenheit und die Vielfalt der Gefühle (Liebe, Freundschaft, Trauer, Gedenken) besonders hervor. Man zieht sich zurück in den „inneren Kreis“ und versucht sich vor den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen abzuschotten. Handkolorierte Stickvorlagen treten von Berlin und Wien aus ihren „Siegeszug“ um die ganze Welt an. Als Biedermeierzeit bezeichnet man im deutschsprachigen Raum die Epoche zwischen 1815 und 1848.

Das Mustertuch "GR" von 1810 ist mit seinen sehr verschiedenen Blumengefäßen und Lebensbäumen ein wunderschönes typisches Beispiel eines Mustertuches aus der fruchtbaren etwas abgelegenen Gegend von Ost-Groningen. Die fünf Gemeinden Winschoten, Reiderland, Bellingwedde, Vlagwedde und Veendam gehören zu diesem Landstrich am Dollart.

Dänemark

Alle Mustertücher, die von Mädchen der Ackworth School in größerer Zahl hergestellt wurden, haben eines gemeinsam, sie sind unverwechselbar:

  • Stopfmustertücher: oft Weiß in Weiß, aber auch farbig; häufig mit Namen, Name der Schule, Jahreszahl
  • Mustertücher mit frommen Texten (sog. homilies): schwarzes Garn, Druckbuchstaben, manchmal oval umrahmt
  • Mustertücher mit eingerahmten Motiven (sog. medaillon samplers): entweder ganz dunkel gestickt oder in feiner farbiger Seide; beide Arten zeigen geometrische und stilisierte florale Motive; oft wurde die Umrandung durch Halbgebilde gestaltet; in der Vielzahl von Rautenformen herrschen Pflanzen und Vögel vor; viele dieser Stickmustertücher enthalten verschiedene Initialen in Kränzen sowie ein Andenken der Liebe (a token of love); oft sind sie einzelnen Klassenkameradinnen gewidmet und kennzeichnen so den starken Freundschaftsbegriff innerhalb des spartanischen Systems dieser Schule.